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Dr. Johannes Kiess und Marius Dilling vom Else Frenkel-Brunswik Institut haben gemeinsam mit Greenpeace eine bundesweite Analyse zur Qualität des öffentlichen Nahverkehrs und ihrem Einfluss auf die Bundestagswahl 2025 veröffentlicht.
Die Studie
zeigt: In Gemeinden mit schlechtem ÖPNV-Angebot erzielt die AfD signifikant höhere Stimmenanteile – selbst unter Berücksichtigung weiterer sozialer, wirtschaftlicher und demografischer Faktoren.
Der Verkehrssektor gehört zu den zentralen Handlungsfeldern, in denen die menschlichen Einflüsse auf den Klimawandel gesenkt werden müssen. Eine deutliche Verbesserung der Angebotsqualität des ÖPNV könnte darüber hinaus auch eine demokratische Dividende erbringen: Während gerade in ländlichen Regionen zunehmend eine Entfremdung von der Demokratie zu beobachten ist, schafft der ÖPNV eine physische Distanzverkürzung die sich auch im subjektiven Erleben niederschlägt und so die Demokratie stärken kann.
Der Effekt ist regional unterschiedlich stark ausgeprägt: Besonders deutlich ist er in Ost- und Süddeutschland, weniger im Norden. Umgekehrt schneiden demokratische Parteien wie SPD, Grüne oder FDP eher dort gut ab, wo Bus und Bahn besser ausgebaut sind. Die Ergebnisse legen nahe, dass unzureichende Verkehrsanbindungen nicht nur ein praktisches Problem darstellen, sondern auch demokratiepolitische Auswirkungen haben können.
Der fehlende Zugang zu öffentlichem Nahverkehr fördert soziale Isolation und das Gefühl, „abgehängt“ zu sein – ein Nährboden für Politikverdrossenheit und rechtspopulistische Einstellungen. Die Studie unterstreicht die demokratische Bedeutung einer flächendeckenden, verlässlichen Mobilitätsinfrastruktur als Teil öffentlicher Daseinsvorsorge.
Die Methode
Die Studie greift für die Sozial-, Infra-, und Wirtschaftsstrukturdaten auf die Datensammlung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, die ÖPNV-Daten von Plan4Better (2025) sowie auf Ergebnisse des Zensus 2022 zurück.
Abbildung 1: Durchschnittliche ÖPNV-Güteklassen auf Gemeindeebene
Die Studie zeigt den Zusammenhang zunächst in einer einfachen bivariaten Korrelation und kann im Anschluss die Modelle mittels Prüfung auf Multikollinearität, Normalverteilung der Residuen und Ausreißer weiterer möglicher Variablen als gut bewerten.
Abbildung 2: Zweitstimmenanteil der AfD auf Gemeindeebene
Das Fazit
Im Fazit stellen die Autoren fest:
Wir konnten unter Kontrolle einer Vielzahl weiterer Variablen zeigen, dass die Angebotsqualität mit dem Bundestagswahlergebnis in einem für solche Untersuchungen beachtlichen Maße zusammenhängt – wenn auch nicht in allen Regionen Deutschlands gleichermaßen. Insbesondere ist das Wahlergebnis der AfD in jenen Gemeinden schlechter, wo der ÖPNV besser ausgebaut ist. Umgekehrt sind Grüne und SPD, regional teilweise aber auch Union und FDP dort erfolgreicher, wo der ÖPNV besser ausgebaut ist. Dies gilt jeweils unabhängig bzw. zusätzlich zu den Effekten von Gemeindegröße, Bevölkerungszusammensetzung, Wirtschaftsstruktur und weiteren, ebenfalls relevanten Faktoren. Für BSW und Linke finden sich in unserer bundesweiten Untersuchung auf Gemeindeebene keine entsprechenden Effekte der ÖPNV-Angebotsqualität. Die AfD ist eine extrem rechte Partei, die in einigen Bundesländern durch die Verfassungsschutzämter auch behördlich als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wird bzw. beobachtet wird. Vor diesem Hintergrund interpretieren wir unsere Ergebnisse so, dass eine höhere Angebotsqualität des ÖPNV mit einer Stärkung der Demokratie in relevantem Maße einhergeht.
Tabelle: Übersicht der Effekte einer schlechten ÖPNV-Angebotsqualität auf die Zweitstimmenergebnisse der Parteien in den Regionen
| Partei \ Region | Osten | Norden | Westen | Süden |
|---|---|---|---|---|
| AfD | + | / | + | + |
| Grüne | / | / | - | - |
| CDU | - | + | / | / |
| Linke | / | / | / | / |
| SPD | / | - | / | - |
| BSW | / | / | / | / |
| FDP | / | + | / | - |
Nicht signifikante oder nur marginale Effekte sind mit / dargestellt. Ein positiver Effekt schlechter ÖPNV-Güte ist mit einem + dargestellt, wo der Zeitstimmenanteil mit schlechtem ÖPNV sinkt, ist ein - eingetragen.
und weiter im Fazit:
Zur Erklärung dieses Zusammenhangs können wir auf die sozialwissenschaftliche Literatur und eigene Untersuchungen zurückgreifen. An diese anschließend argumentieren wir, dass die Angebotsqualität des ÖPNV eine Distanzverkürzung in mehrfacher Hinsicht bedeutet. Zum einen geht es um die Erreichbarkeit von Stationen des täglichen Bedarfs, Arbeitsstätten, medizinischer Versorgung oder auch kultureller Angebote und damit gesellschaftlicher Teilhabe. Dies beinhaltet auch die Erreichbarkeit politischer Institutionen – wie weit weg ist Berlin als wichtigstes politisches Entscheidungszentrum, die jeweilige Landeshauptstadt oder das Landratsamt? Zum anderen sind damit aber auch „gefühlte“ Distanzverkürzungen betroffen. Mit dem Bus nur umständlich das nächste Krankenhaus oder das Landratsamt erreichen zu können, könnte Gefühle des Abgehängtseins und die gesellschaftspolitische Polarisierung verstärken. Zudem verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland auf „gleichwertige Lebensverhältnisse“ (GG Art. 72 Abs. 2). Diese zu gewährleisten stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Diskrepanzen können hingegen als Verstoß gegen Gerechtigkeitsvorstellungen erscheinen.
Weitere Informationen…
Marissa Reiserer präsentiert die Studie von Greenpeace beim Webinar am heutigen Do. 11.12.25 um 18:00 Uhr:
“Weniger Bus, mehr AfD? – Wie schlechter Nahverkehr und Wahlergebnisse zusammenhängen”
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